Liebe Menschis dadraußen,
hier schreibt Merle/ UP-09 aus der Jugendvollzugsanstalt Regis-Breitlingen. Mir geht es soweit gut und ich lebe. Heute ist Tag 10 in U-Haft. Das Leben hier ist sehr simpel und langweilig. Es gibt zu viel Zeit zum Denken. Alles was hier passiert muss über Anträge beantragt werden: Telefon, Besuch, Pakete, Radio, … Das ist echt nervig und anstrengend, da nichts selbstständig erreicht werden kann, sondern alles über fragen und warten läuft. Das soziale Gefüge erinnert hier sehr an die Schulzeit; es gibt simple Hierarchien und lose Gruppengebilde, die vorallem von Herkunft oder aber durch den Besitz von Tabak bestimmt werden. Das Essen hier ist eigentlich ganz lecker und sogar ziemlich luxuriös teilweise wie ich finde. Nach ein paar Streitigkeiten zu Beginn auch vegan. Viele Zellen haben zusätzlich zum Gitter dicke Plexiglasscheiben, die das Atmen erschweren und die ich für absolute Körperverletzung halte (aber das ist eingesperrt werden ja acuh schon…). 3 Tage verbrachte ich auch in so einer Zelle. Mittlerweile habe ich das Glück eine Einzelzelle mit ohne Plexiglas zzu haben. Der Tag hier besteht aus 22 bis 23 Stunden in der Zelle zu vergammeln. Die Abende sind die größte Herrausforderung, weil der Körper einfach nicht mehr müde wird vum nichts tun. Dann kommen oft die betrübten Gedanken und Zweifel an dem, was ich hier mache; Was bringt es überhaupt? Ist das hier überhaupt noch wirksamer Protestoder eher Selbstverletzung verkleidet im Mantel der Subkultur von Anarchie und Autonomie? Ich weiß ehrlich gesagt nicht, ob ich das hier bis zum Ende durchhalte oder nicht. Ich versuche jeden Tag individuell als Erlebnis der Reflexion, „Entspannung“ und Selbsterforschung wahrzunehmen und auch als eine Art „Grenzentest“. Ich bin zutiefst dankbar für all den Support und die Solidarität von draußen. Die Trommeldemo vor der JVA war definitiv einer der prägensten Momente meiner bisherigen Lebenszeit und hat mir viel Kraft aber auch Anerkennung hier im Knast gegeben. Fast alle Mithaftis haben sich sehr gefreut. Ich glaube die wenigsten von ihnen wissen, dass es organisierte Bewegungen gibt, die das System Knast kritisieren, ablehnen und abschaffen wollen. Heute kam auch ein bunter Haufen voller Briefe mit Glitzer dren. Auch hierfür möchte ich mich intensiefst bedanken. Ich habe beim Lesen viel gelacht und geweint, was sehr erfrischend und schön war, definitiv das Spannenste was hier seit Tagen passiert ist. Meine Zelle ist jetzt bunt und kreativ in jeder Ecke. Ich vermisse viele Menschen hier und denke zu oft an all diese wunderbaren Individuen, mit denen ich bisher Lebenszeit teilen durfte. Ich hoffe das kein Mensch draußen zu sehr um meine Abwesenheit trauert, denn das möchte ich mit meinem Protest nicht bezwecken. Ich möchte Kritik üben. Kritik am menschenfeindlichen, korrupte System der Polizei und Justizbehörden und der verschlafenden, wirtschaftssüchtigen und wachstumsverherrlichenden Politik. Ich möchte daran appelieren, dass unsere Aktionen nicht in der Grube aufhören, sondern dass unsere Inhalte auch über den Kontext von Braunkohle und Klima in der Öffentlichkeit klar erkennbar sind. Ohne einen ausschlaggebenden Systemwandel wird auch nichts an der Klimakrise zu stoppen sein. Wir dürfen uns nicht von der verblendeten und autoritären Politik aufhalten oder kriminalisieren lassen. Wir können unsere Proteste auch nicht von irgendwelchen Parteien für ihrenSicherheitsfetisch oder ihre Wahlpropaganda instrumentalisieren lassen. Auch nicht unsere Erfolge von solchen vermeintlich „grünen“ Parteien, die seit Jahren nichts als unsolziale konservative Reichenpolitik veranstalten, vereinnahmen lassen. Aber jetzt genug von politischen Gerede … Ich kann meine eigenen Gedanken schon selbst nicht mehr hören. Noch ein paar letze Worte: Bitte seid nicht eingeschüchtert durch das unverhältnismäßig hohe Strafmaß der Justiz in meinem Fall. Repressionen fallen meist sehr wahrlos und willkürlich aus und sind schwer im Vorraus zu planen. An mir soll ein Exempel statuiert werden, aber lasst uns den Repressionorganen diesen „Sieg“ nicht wahr werden lassen. Lasst uns gemeinsam zeigen, dass wir uns nicht unterkriegen lassen. Lasst und laut, extrem und antifaschistisch sein. Lasst uns besetzen, blockieren und sabotieren. Lasst uns Freiräume schaffen, beleben und pflegen. Lasst uns queerfeminitisch denken, fühlen und kämpfen. Für eine befreite Gesellschaft jenseits von ausbeutendem Kapitalismus, Mackern, die baggern und Baggern, die unsere aller Lebensgrundlagen zerstören.
In diesem Sinne:
Alerta, alerta, ökoterroristⒶ! Gegen alle Käfige und Knäste! FREIHEIT FÜR ALLE GEFANGENEN!
Bunte und widerständige Grüße aus dem Knast!
Merle
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